NOAK: Therapie bis ins hohe Alter?

Im Alter steigt das Risiko für Thromboembolien bei Patientinnen und Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern (nv VHF). Gleichzeitig nimmt auch das Risiko für Blutungskomplikationen z. B. durch eine erhöhte Sturzneigung, Gebrechlichkeit oder Multimedikation zu. Welche Kriterien spielen bei der Entscheidung für oder wider Antikoagulation im Alter eine Rolle?¨

 

Erhöhtes Sturzrisiko spricht nicht gegen Antikoagulation

Genau wie hohes Alter ist ein erhöhtes Sturzrisiko nicht per se ein Grund, um die Antikoagulation bei nv VHF-Patientinnen und -Patienten zu beenden. Eine Modellrechnung aus dem Jahr 1999 zeigt, dass nv VHF-Patientinnen und Patienten unter einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten fast 300 Stürze pro Jahr erleiden müssten, bevor das Risiko einer sturzbedingten subduralen Blutung den Nutzen der Antikoagulation übersteigt. Für die Nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulantien (NOAK) dürfte eine Berechnung sogar höher ausfallen. Nichtsdestotrotz können auch extrazerebrale sturzassoziierte Blutungen die Lebensqualität negativ beeinflussen oder zu ernsten Komplikationen führen. Daher sollten wiederholt auftretende Stürze hinsichtlich Schweregrad und der Wahrscheinlichkeit schwerer Verletzungen analysiert werden. Zudem ist es wichtig potenziell beeinflussbare Risikofaktoren für Stürze zu identifizieren und zu minimieren. Risikofaktoren können sein:

•    Multimedikation, vor allem antihypertensive und zentralwirksame Medikamente
•    Muskelschwäche, insbesondere der unteren Extremitäten, Sarkopenie
•    Elekrolytstörungen
•    Visuseinschränkungen
•    Stolperfallen in der häuslichen Umgebung

 


Empfehlung: Antikoagulation bei nv VHF

Die Bedeutung des Alters für das Thromboembolie-Risiko von nv VHF-Patientinnen und -Patienten schlägt sich im CHA2DS2-VASc-Score zur Ermittlung des Schlaganfallrisikos nieder. Ab einem Alter von ≥ 75 Jahre ergibt sich unabhängig von weiteren Risikofaktoren eine Empfehlung zur oralen Antikoagulation, da sich bereits durch das Alter zwei Punkte im Score ergeben. Bei Personen ohne Kontraindikationen sollten NOAK gegenüber VKA bevorzugt werden.


Bei gebrechlichen Personen zusätzliche Aspekte beachten

Bei gebrechlichen Personen müssen zusätzlich zu einem erhöhten Sturzrisiko assoziierte Faktoren wie eine eingeschränkte Nierenfunktion, Untergewicht und Multimedikation berücksichtigt werden.[5] Dennoch ist grundsätzlich auch bei diesen nv VHF-Patientinnen und -Patienten von einer positiven Nutzen-Risiko-Relation der oralen Antikoagulation mit NOAK auszugehen. Um das Risiko zu minimieren, ist eine engmaschige Betreuung der antikoagulierten Personen und Sorgfalt bei der Dosisfindung der NOAK erforderlich.[5]

 

Multimedikation kritisch evaluieren

Multimedikation ist typisch bei geriatrischen Patientinnen und Patienten. Kritisch in Zusammenhang mit dem Einsatz von NOAK können insbesondere Medikamente sein, die das Blutungsrisiko erhöhen bzw. die Plasmaspiegel erhöhen oder senken können. Hierzu gehören vor allem:[5]

Erhöhtes Blutungsrisiko
•    Thrombozytenaggregationshemmer
•    Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR)
•    Steroide
•    Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI)

Erhöhte Plasmaspiegel
•    Antimykotika
•    Clarithromycin

Erniedrigte Plasmaspiegel
•    Johanniskraut
•    Rifampicin


In der Praxis sollte bei geriatrischen nv VHF-Patientinnen und -Patienten mit komplexer Multimorbidität und Polypharmazie die Nutzen-Risiko-Relation von NOAK individuell geprüft werden. Bestehen dezidierte Gründe für das Absetzen der Antikoagulation, sollten diese dokumentiert werden. Hilfreich vor diesem Hintergrund kann eine Priorisierung der Therapien sein.[5]

 

HAS-BLED-Score nur bedingt zielführend

Das individuelle Blutungsrisiko kann z. B. mit dem HAS-BLED-Score ermittelt werden. Bei einer Punktzahl von 3 oder mehr ist von einem hohen Blutungsrisiko auszugehen.[6] Ein entsprechender Score (≥ 3) ist allerdings kein Kriterium für das Beenden oder Vorenthalten einer oralen Antikoagulation, da gerade diese nv VHF-Patientinnen und -Patienten auch ein erhöhtes Apoplexrisiko haben.[5],[6] Stattdessen ist eine individuelle Bewertung der Nutzen-Risiko-Relation und bei Antikoagulation eine sorgfältige Überwachung angezeigt. Modifizierbare Risikofaktoren für Blutungen sollten nach Möglichkeit behandelt werden.[6]

 

Was tun in einer Palliativsituation?

In Palliativsituationen sind die Linderung von Beschwerden und der Erhalt der Lebensqualität vorrangig. Prognostisch bedeutsame Therapien spielen bei einer geringen Lebenserwartung nur noch eine untergeordnete Rolle.[5] Die Entscheidung für oder wider NOAK sollte zusammen mit und nach den Wünschen und Vorstellungen der Betroffenen abgeklärt werden. Besprochen werden sollten dabei explizit erwartbare Folgen des Absetzens bzw. der Fortsetzung der Behandlung wie z. B. nicht-tödlicher Schlaganfall bzw. schwere Blutungen.[5]