Leitlinienupdate VTE und LE: Was ist relevant für Klinik und Praxis?

Das Update der AWMF S2k-Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie" wartet mit einigen Neuerungen auf. Was ist neu und für wen ist es relevant?

Unter die Lupe genommen haben die neue S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der tiefen Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie (LE)“ die beiden Gefäßspezialistinnen Frau Dr. Katrin Gebauer (Fachärztin für Innere Medizin und Angiologie, Oberärztin am Universitätsklinikum Münster) und Dr. Friederike Baron-Gielnik (niedergelassene Angiologin aus Hamburg): Was ist für Sie interessant und was sollten ihre Kolleginnen und Kollegen wissen?

 

DOAK nun auch in der Leitlinie Standard bei der Akuttherapie und Rezidivprophylaxe bei TVT/LE

Dr. Gebauer:
„Direkte orale Antikoagulantien (DOAK) haben wir auch schon vor dem Leitlinien-Update als Standard bei TVT oder LE eingesetzt (die alte Leitlinie ist aus 2015, Anm. d. Red.). Eine Patientin oder ein Patient, die ambulant wegen einer TVT kommen, werden grundsätzlich direkt mit einem DOAK – entweder Apixaban oder Rivaroxaban – versorgt. Was vorkommt ist, dass wir bei einer Person mit einer Lungenarterienembolie und einem intermediärem Risiko mit niedermolekularem Heparin anfangen – so sieht es ja auch die Leitlinie vor. Die stellen wir dann aber während des stationären Aufenthalts schon auf DOAK um.“ 

Was tun bei klinischem Verdacht auf tiefe Beinvenenthrombose?

 

Dr. Baron-Gielnik:
„Besonders relevant für den niedergelassenen Bereich und für Hausärztinnen und Hausärzte ist der point-of-care-Diagnosealgorithmus: Zunächst soll bei klinischem Verdacht auf TVT mittels Wells-Score und ggf. über D-Dimere die klinische Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis bestimmt werden. Bei niedrigem Wells-Score (0-1) und normwertiger D-Dimere, kann eine TVT nahezu ausgeschlossen werden.
Ist kein Ausschluss möglich und kann vor Ort keine vollständige Ultraschalluntersuchung erfolgen, kann ein point-of-care-Ultraschall durchgeführt werden. Bedeutet: Ich mache einen 2-Punkte-Duplex, schaue einmal auf die Vena femoralis communis und die Vena poplitea und wenn da nichts ist, habe ich erstmal das Grobe ausgeschlossen. Kann vor Ort kein Ultraschall gemacht werden, soll vorläufig mit der Antikoagulation begonnen werden. Zeitnah sollte dann aber in beiden Fällen der komplette duplexunterstützte Kompressionsultraschall (dv-KUS) gemacht werden“ (siehe Abb. 1).

 

Dr. Gebauer:
„Das ist eben auch für uns in der Klinik sehr relevant. Wenn in der Hausarztpraxis schon eine erste Diagnostik gemacht und eine TVT vorläufig ausgeschlossen wurde, können wir die Patientinnen und Patienten geordnet in unser Tagesprogramm einbauen, um dann die komplette Kompressionssonographie nach 4-7 Tagen zu machen. Dies ist weiterhin der Goldstandard in der Diagnostik. Zu den D-Dimeren muss man natürlich sagen, dass es auch verschiedene andere Situationen (akute Entzündung, Schwangerschaft, Traumata oder Operationen) gibt, die Einfluss auf den Wert haben können. Daher ist die Labordiagnostik mit D-Dimeren nicht immer zielführend. Wenn der Wert allerdings negativ ist, ist das Vorliegen einer TVT sehr unwahrscheinlich."

 

Diagnosealgorithmus

Rivaroxaban und Apixaban auch bei Patienten mit TVT/LE > 120 Kilo

Dr. Baron-Gielnik:
„Gerade bei adipösen Personen, war man immer gehemmt DOAKs anzuwenden. Nun gibt es genügend Evidenz für einen Einsatz von Apixaban und Rivaroxaban jenseits von 120 kg bzw. einem BMI von 40 (Vorsicht ist weiterhin bei > 150 kg geboten, Anm. d. Red.). Toll finde ich, dass wir in unserem Gefäßzentrum die vielen extrem übergewichtigen Patientinnen und Patienten nach einer bariatrischen OP, jetzt auch nach frühestens 4 Wochen parenteraler Antikoagulation auf ein DOAK umstellen können. Wird umgestellt, sollen Tal- und Spitzenspiegel des DOAKs bestimmt werden. Für Dabigatran und Edoxaban liegen keine entsprechenden Daten vor. Die Anwendung wird folglich bei Personen jenseits von 120 kg nicht empfohlen. In der Praxis sehe ich schon hin und wieder, dass eine Person > 120 kg mit Edoxaban antikoaguliert wird.“

 

DOAK bei Patienten mit TVT/LE und einem Alter > 75 Jahre

Dr. Gebauer:
„In der Klinik haben wir sehr viele alte Patientinnen und Patienten. Insofern ist es gut und wichtig, dass es zu dieser Personengruppe nun dezidierte Informationen gibt: DOAK sind bei über 75-Jährigen mindestens genauso effizient wie Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und für Apixaban und Rivaroxaban wurde in Phase-III-Studien eine niedrigere Rate an schweren Blutungen gegenüber Warfarin bei Personen mit TVT/LE und einem Alter von > 75 Jahren berichtet. Unter Dabigatran und Edoxaban war das Blutungsrisiko für diese Gruppe im Vergleich zu VKA erhöht. Eine abschließende Bewertung gibt es in der Leitlinie allerdings nicht.“

DOAK bei TVT/LE und fortgeschrittener Niereninsuffizienz

Dr. Gebauer:
"Wir haben praktisch keine stationären Patientinnen und Patienten mit normaler Nierenfunktion, nahezu alle unserer Patienten haben eine Nierenfunktionseinschränkung der Kategorie G2 n. KDIGO*. Mit DOAK ist man bis zur eintretenden Dialysepflichtigkeit ganz komfortabel aufgestellt. Rivaroxaban und auch Apixaban können bis zu einer KrCl** von 15 ml/min ohne Dosisreduktion gegeben werden., Ab einer KrCl von 15 bis 29 ml/min sollte eine Behandlung „mit Vorsicht“ erfolgen. Eine Reduktion der Erhaltungsdosis von Rivaroxaban auf 1 x 15 mg/Tag sollte erwogen werden.“

 

* G2 n. KDIGO = 60 – 89 ml/min/1,73m2 GFR laut Leitlinie der Kidney Disease: Improving Global Outcomes

** KrCl = Kreatinin-Clearence

 

Isolierte Muskelvenenthrombosen können über 1 bis 4 Wochen antikoaguliert werden

Dr. Baron-Gielnik:
„Was wir im ambulanten Bereich sehr oft sehen, sind isolierte Muskelvenenthrombosen des Unterschenkels. Entsprechend hat diese Änderung hohe Relevanz für uns. Bisher war eine Antikoagulation von 3 Monaten empfohlen. Laut aktualisierter Leitlinie kann nun eine therapeutische Antikoagulation über 1 bis 4 Wochen erfolgen. Das ist sicherlich für viele betroffene Personen eine Erleichterung.“

 

Dr. Gebauer:
„Spannend ist da natürlich die Frage der praktischen Umsetzung: Bei einer nur 1-wöchigen Antikoagulation würde sich dann sicherlich eher ein niedermolekulares Heparin anbieten. Bei einer 4-wöchigen Antikoagulation könnte man dann eine Monatspackung Apixaban oder die Starterpackung Rivaroxaban nehmen.“