Der UroBlog von Prof. Frank Christoph (Berlin)

Sport in der Urologie

Sport und Bewegung gelten als eines der effektivsten Mittel, die dem Menschen zur Vermeidung und Therapie vieler Erkrankungen zur Verfügung stehen. Doch leider nimmt die Zeit, die wir in Bewegung oder beim Sport verbringen, zunehmend ab. So hat sich laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) der Anteil der körperlichen Bewegung z.B. bei Kindern in Zeiten während und nach der Pandemie um 20% reduziert . Diese Daten wurden in der Erwachsenenwelt durch eine Studie der Universität Frankfurt/ Main aus dem Jahre 2021 bestätigt . Schuld daran sind vor allem äußere Lebensumstände und die vielen Annehmlichkeiten der modernen Welt. Der moderne Mensch neigt dazu, es sich bequem zu machen. Dabei sind die Vorzüge von Bewegung allen bekannt. Zu den sicher bekanntesten Vorteilen gehören die Risikoreduktionen in den Bereichen Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen. Doch auch in der Prävention von Tumorerkrankungen zeigt der regelmäßige Einsatz von Sport deutliche Effekte. 

Der Urologie kommt hierbei eine besondere Aufgabe zu Teil. Wo staatliche Aufklärungsprogramme in der Vergangenheit versagt haben, tritt nun der Urologen*in allein durch regelmäßig wiederkehrende Interaktionen mit dem Patienten im Rahmen der Früherkennungsuntersuchung in Erscheinung. Insbesondere ermöglicht das Eintrittsalter von 45 Jahren eine (sportliche) Intervention noch zu einem Zeitpunkt, in dem der Körper Veränderungen annimmt. Die sogn. NAKO-Studie hat gezeigt, dass gerade diesem Alter eine besondere Bedeutung zukommt, da hier die Weichen für ein längeres Leben gestellt werden können . Dazu kommt der aktuelle Zeitgeist (Longevity Bewegung), bei dem es darum geht möglichst lange zu leben. Es wird klar betont, dass die Zeit des verlängerten Lebens („lifespan“) auch mit einer langen Phase der Gesundheit und Aktivität einhergehen soll („healthspan“). Denn wer möchte schon bei mehr Lebenszeit die meiste Zeit davon ans Bett gebunden oder inaktiv sein? Doch jenseits multipler Start-Ups und Pharmaunternehmen, die mit einer Vielzahl diverser Supplements das Elixier der ewigen Jugend versprechen gibt es ein Mittel, dessen Wirkung so unbestritten einfach wie effizient und wissenschaftlich bewiesen ist: der Sport und die körperliche Bewegung.

Dabei kommt die gesellschaftliche Entwicklung, mit Hang zur Selbstoptimierung (s.o.), diesem Trend zu pass. Wer kann sich nicht noch an die „Trimm Dich“ Bewegung des Deutschen Sportbundes der 70er Jahre erinnern, die zumindest einen Zusammenhang zwischen körperlicher Bewegung und Gesundheitsdenken vermuten ließ? 

Sport ist die wahre „Anti Aging Medizin“. Allein 15 Minuten Bewegung am Tag senken das Mortalitätsrisiko um 14% . Die Liste der positiven Effekte von Sport auf verschiedenste Krankheitsbilder ist schier endlos. Dazu gehören Herz-Kreislauf Erkrankungen, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Übergewicht, Stress und Burnout, Krebserkrankungen und Osteoporose. Der Urologe denkt in diesem Zusammenhang noch an die Kräftigung des Beckenbodens sowie an den hypergonadotropen Hypogonadismus und die altersbedingte Sarkopenie.

1. Sport als Therapie

1.1. Beckenboden und Blutzirkulation

Ein direkter Zusammenhang ergibt sich aus der Stärkung des Beckenbodenmuskels im Rahmen lokaler physiotherapeutischer Maßnahmen bei Mann (Postprostatektomie, Beckenbodenschmerz, erektile Dysfunktion) und Frau (Streßinkontinenz, Beckenbodenschmerz). So hat eine kürzlich veröffentlichte Meta Analyse den Effekt des Beckenbodentrainings bei Streßinkontinenz erneut bestätigt und eine 2024 gestartete Studie soll den Effekt körperlicher Aktivität auf den chronischem Beckenbodenschmerz beim Mann klären . Auch die seit einigen Jahren verfügbare DIGA „Kranus Edera“ macht sich das Konzept des Beckenbodentrainings zu Nutze und erhöht durch dezidierte Übungen die Durchblutung im penil-prostatischen Plexus und somit die Perfusion zur Verbesserung der Erektion von venöser und eventuell auch arterieller Seite .

1.2 Hormonelle (Testosteron) und metabolische Effekte

Regelmäßiger Sport in Kombination mit diätetischen Maßnahmen kann langfristig zum Abbau von Fettzellen führen. Dabei scheinen diätetische Maßnahmen besser bei jüngeren und sportive Maßnahmen effektiver bei älteren Männern zu sein . Kastrierte Ratten zeigten im Rahmen eines Laufprogramms im Zeitraum von 3 Monaten eine signifikante Zunahme von Muskelgewebe und Abnahme der Osteoporose. Dies lässt im übertragenen Sinne vermuten, dass sich selbst im hypogonadalen Stadium - in dem sich zunehmend Männern ab dem 60. Lebensjahr befinden - regelmäßige Bewegung lohnt, ohne sofort medikamentös in die Hypophysen-Gonaden Achse eingreifen zu müssen . Kontrovers bleibt die Datenlage zum Effekt von Sport auf den Testosteronspiegel. Eine extrem intensive sportliche Aktivität wirkt sich eher negativ auf die vom Körper produzierte Testosteronmenge aus, während moderater Sport die Testosteronproduktion nicht tangiert. Es überwiegen die gleichzeitig positiven Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem .

1.3 Gewichts- und Körperfettreduktion

Ein Abbau von Fettzellen, getriggert durch regelmäßige Bewegung, kann den Anteil von bioverfügbarem Testosteronspiegel wieder anheben. Das Risiko eines niedrigen Testosteronspiegels ab einem BMI >30 steigt um das mehr als 3-fache an . Sport und körperliche Bewegung helfen somit indirekt: indem sie den testosteronspeichernden Fettanteil (viszerales Fett) erniedrigen und u.a. die Freigabe von Testosteron, welches in den Fettzellen gebunden ist, ermöglichen. Dies führt zu einem Anstieg des bioverfügbaren Testosterons und optimiert weitere metabolische Prozesse z.B. beim Diabetes Mellitus Typ 2. So sollte jede Testosterongabe eines übergewichtigen Diabetikers überdacht und von einer praxisnahen Empfehlung zur Teilnahme an Sportprogrammen und Krafttraining begleitet werden.

2. Sport als Prävention

Hier stellt sich die wesentliche Frage(n): erkranken Sportler seltener an Krebserkrankungen und wenn ja, hilft Sport das Risiko eines Rezidivs zu erniedrigen? Die Antwort ist in beiden Fällen: ja!

Regelmäßiger Sport erhöht die Aktivität sogn. natürlicher Killerzellen . Dies vermindert das Risiko an Krebs zu erkranken um bis zu 42% . Djurhuus et al. konnten zeigen, dass die Konzentration natürlicher Killer Zellen in Prostatakarzinomgewebe nach Ausdauersport signifikant erhöht ist . Ist der Patient erkrankt und wurde kurativ behandelt, so konnte beim Prostatakarzinom bereits 2011 gezeigt werden, dass 3 Stunden Sport pro Woche das Sterberisiko einer Rezidiverkrankung um 40% senken (z.B. 3-mal pro Woche 60 Minuten lockeres Joggen), bei einer Zunahme auf z.B. 5-mal pro Woche beträgt dieser Effekt sogar 56% . Eine weitere Studie bestätigte diese Wirkung, insbesondere was moderate Einheiten, d.h. 3x pro Woche oder mehr betraf . Regelmäßiger Ausdauersport erhöhte die PSA-Verdopplungszeit bei Karzinompatienten signifikant . Es schadet daher sicher nicht, allen Active Surveillance (oder Watchful Waiting) Patienten Ausdauersport zu empfehlen.

Doch nicht nur bei der Reduktion des Rezidivrisikos ist der Sport hilfreich. Regelmäßige Ausdauerübungen verbessern die Lebensqualität und reduzieren die Fatigue nach Strahlentherapie, wie bereits 2006 gezeigt wurde . Und auch für das Harnblasenkarzinom lassen sich die vorgenannten Effekte vermuten . Dabei scheint sich der Code „3x30 Min“ zu etablieren. Diese Zeiteinheit wirkt sich beim Ausdauersport im Übrigen auch positiv auf die Aktivität der Telomerase aus, ein Enzym welches Chromosomenenden vor dem Abbau schützt und somit dem Alterungsprozess entgegenwirkt 

All diesen Untersuchungen muss natürlich angelastet werden, dass körperlich aktive Menschen generell einen gesünderen Lebensstil pflegen, welches als Co-Faktor ebenfalls Einfluß auf die genannten und lebensverlängernden Effekte haben wird.

3. Das Sportprogramm – praktische Aspekte

Das ideale Sportprogramm sollte aus einer Mischung aus Ausdauer- und Kraftsport bestehen. Da mit fortschreitendem Alter oder unter einer Androgendeprivationstherapie die Sarkopenie zunimmt, sich Muskelmasse jedoch positiv auf Stoffwechselprozesse, Sturzrisiko und Lebensqualität auswirken, darf die Kraftkomponente nicht vergessen werden.

Es gilt das Prinzip, dass der Sport den Patienten „abholen“ muss. So einfach der Laufsport als Ausdauersport einsetzbar ist, erscheint er nicht wenigen oft langweilig oder bei Knie- und Hüftbeschwerden schlichtweg nicht durchführbar. Hier bietet sich der Schwimm- oder Radsport an. Erwähnenswert am Laufen ist sein positiver Einfluß auf die Osteoporose, da Laufen als sogn. „Impact“ oder „Weight-bearing- Sportart“ wesentlich zur Prävention selbiger dienen kann . Dem wird der Schwimm- oder Radsport als ebenfalls klassischer Ausdauersport nicht gerecht.

Bei der Ausübung sollten sich die Partizipanten nicht überanstrengen, der von Prof. Ingo Froboese von der Sporthochschule Köln und Dieter Baumann (olympischer Goldmedaillengewinner auf 5000 m) geprägte Spruch „Laufen ohne zu Schnaufen“ findet hier seine Anwendung . Er reflektiert eine Herzfrequenz bei der z.B. Reden während der Ausübung noch möglich ist. Ob dies bei einer Pulsfrequenz von 120 oder 150 pro Minute entspricht, hängt schlußendlich von der Fitness des einzelnen ab.

Auch beim Kraftsport sollte nicht übertrieben werden, denn mit zunehmendem Alter wird der Muskel- und Sehnenapparat schwächer und das Verletzungsrisiko steigt. Ein einfaches Kurzhantelset kann dabei hilfreich sein. Auch bieten diverse digitale Applikationen mittlerweile Übungen mit Körpereigengewicht an. Welche Form des Krafttrainings zur Prävention der Sarkopenie nun am besten ist, ist noch nicht ausreichend erforscht. Beim Hanteltraining sind Wiederholungszahlen von 12 bis 14 anzustreben, dabei Satzzahlen von 2 bis 3 pro Muskelgruppe ausreichend, um einen stabilisierenden und leicht hypertrophierenden Effekt zu erhalten.

Zusammenfassung:

Sport kann Menschen helfen Ihre Gesundheit in vielen Bereichen zu verbessern oder zu erhalten. Dabei wird dem Urologen*in aufgrund seiner Nähe zum Mann eine besondere Aufgabe in der Gesundheitserziehung zu Teil. Seine Aufgabe sollte nicht nur in der alleinigen Durchführung der Früherkennungsuntersuchung liegen, sondern auch in der Vermittlung wertvoller Wissensinhalte zum Thema Sport und Bewegung. Dies sollte insbesondere bei Krebserkrankungen Anwendung finden.