Praxistipp: MRT statt Biopsien bei Active Surveillance “ der bessere Weg?

Aktuelle Active Surveillance (AS)-Protokolle sehen vor, dass Prostatakarzinom (PCa)-Patienten, die aktiv überwacht werden, regelmäßig eine Biopsie erhalten – eine für die Patienten herausfordernde Situation. Mit einer seriellen multiparametrischen Magnetresonanztomographie (mp-MRT) könnte die Detektion einer PCa-Progression bei dieser Patientengruppe verbessert und zudem die Biopsie-Frequenz verringert werden – so die These von Paul Doan et al. Da es bislang nur wenige prospektive Daten zum diagnostischen Nutzen der seriellen mp-MRT bei AS gibt, untersuchten Doan et al. nun die mittelfristigen onkologischen Ergebnisse in einer einarmigen prospektiven Studie im Rahmen eines 3-jährigen AS-Protokolls, bei dem nach initialem mp-MRT und Template-basierter Biopsie, die Wiederholungsbiopsie durch serielle mp-MRT ersetzt wird. Primäre Endpunkte waren die Detektion eines klinisch signifikanten (cs)PCa nach 3 Jahren und die Progressionsrate, die eine radikale Therapie erfordert.

 

Summary

Die prospektive einarmige Studie von Paul Doan et al. schloss 172 für AS geeignete PCa-Patienten (Gleason 3+3=6 oder Gleason 3+4=7 mit < 10% Gleason Muster 4 insgesamt und <2 Stanzen Gleason Muster 4) ein. Konkret erhielten die Patienten zu Studienbeginn eine mp-MRT + eine Template-basierte Biopsie (transperineale Biopsie unter Zuhilfenahme eines Biopsie‐Rasters) ± gezielte Biopsie und dann in den Jahren 1 und 2 eine mp-MRT anstelle der Wiederholungsbiopsie. Abschließend erhielten die Patienten im Jahr 3 eine Template- basierte Biopsie. Tabelle 1 zeigt die diagnostische Genauigkeit der mp-MRT zur Detektion eines csPCa.

 

Parameter

Aussagekraft

95% Konfidenzintervall

Sensitivität

57 %

39 %-74 %

Spezifizität

82 %

74 %-89 %

Positiver prädiktiver Wert

50 %

38 %-62 %

Negativer prädiktiver Wert

86 %

81 %-90 %

Tabelle 1: Diagnostische Genauigkeit der mp-MRT zur Detektion eines csPCa.

 

Sowohl der mp-MRT-Befund als auch die prostataspezifische-Antigen-Dichte (PSAD) erwiesen sich als signifikante Prädiktoren für eine Progression (mp-MRT: Odds Ratio [OR] 6,20, 95 % KI 2,72-14,16; p <0,001; PSAD: OR 6,19, 95% KI 2,14-17,92; p =0,001). Lediglich bei 2,3 % (4/172) der Patienten wurden falsch-negative mp-MRT-Befunde und pathologische Hochrisikomerkmale (Tumorstadium pT3 oder hoch-volumiges Gleason-Grad gemäß der International Society of Urological Pathology [ISUPGG] >2 PCa) beobachtet. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 69 Monaten (Q1-Q3 56-79) aller Patienten in der Kohorte waren 99,3 % der Patienten ohne biochemisches Rezidiv (PSA-Wert <1 ng/ml), bei denjenigen ohne Metastasen und ohne PCa-spezifische Todesfälle lag der Anteil bei jeweils 100 %.

 


Key-Finding

  • Laut Paul Doan et al. weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine 1-Jahres-Wiederholungsbiopsie mit minimalem Risiko für AS-Patienten entfallen kann, wenn zu Beginn der Untersuchung eine mp-MRT + eine Template-basierte Biopsie ± gezielte Biopsie durchgeführt wurde. Abbildung 1 zeigt das Risiko eines csPCa nach 3 Jahren, unterteilt nach mp-MRT-Befunden.
  • mp-MRT-Befund und PSAD waren starke Prädiktoren für die PCa-Progression und könnten die Häufigkeit der Biopsie bei AS-Patienten ohne signifikante Auswirkungen auf die onkologischen Ergebnisse reduzieren und auf diese Weise die AS-Akzeptanz erhöhen.
  • Abbildung 1 zeigt das Risiko eines csPCa nach 3 Jahren, unterteilt nach mp-MRT-Befunden.

Details

Rationale

Aktuelle AS-Protokolle umfassen regelmäßige PSA-Tests, digitale rektale Untersuchungen (DRE) und Wiederholungsbiopsien. Allerdings sind wiederholte Biopsien für die Patienten psychisch belastend und zudem mit Morbidität assoziiert. Ein Lösungsansatz könnte die mp-MRT sein – ein bildgebendes Verfahren, das die Detektion von csPCa erhöht und bei einem unauffälligen Befund die Langzeitprognose verbessert. In Bezug auf AS könnte die mp-MRT die Detektion von csPCa verbessern und die Biopsie-Frequenz verringern. Doch gibt es bislang nur wenig prospektive Evidenz, die zeigt, dass mp-MRT die PCa-Progression zuverlässig bei AS-Kohorten erkennt. Aus diesem Grund bewerteten Paul Doan et al. im Rahmen einer prospektiven einarmigen Studie mit Low-risk-PCa-Patienten den diagnostischen Nutzen eines AS-Protokolls, in dem die Wiederholungsbiopsien durch serielle mp-MRT ersetzt wurde.

 

Studienpopulation und Methodik

Insgesamt wurden in den Jahren von 2012 bis 2017 172 für AS geeignete PCa-Patienten in die Studie aufgenommen. Einschlusskriterien waren: Ein International Society of Urological Pathology (ISUP)-Gleason-Grad (GG) 1 oder ein günstiger ISUP-GG 2 (<2 Gewebeprobe, ≤10 % mit Gleason-Muster 4) und ein PSA-Wert <10 ng/ml sowie ein Tumorstadium bis cT2b bei -DRE. Laut dem 3-jährigen AS-Protokoll wurde zu Studienbeginn bei allen Patienten eine mp-MRT + eine Template-basierte Biopsie ± gezielte Biopsie der Prostata durchgeführt. Dann folgte in den Jahren 1 und 2 jeweils eine mp-MRT (anstelle der Wiederholungsbiopsie) und am Ende des dritten Jahres eine abschließende Template-basierte Biopsie. Verdächtige Läsionen im mp-MRT zogen eine Prostatabiopsie nach sich. Der PSA-Wert wurde alle 6 Monate bestimmt und die DRE jährlich durchgeführt. Bei einer PSAD >0,2 ng/ml/cc oder einer verdächtigen DRE beurteilte der behandelnde Urologe die Notwendigkeit einer vorzeitigen MRT ± Biopsie.

 

Indikation zur vorzeitigen Biopsie

 

Zum Zeitpunkt der Planung dieser Studie (2012) gab es keine Leitlinien-basierte Definition für die MRT-Progression bei einer positiven seriellen mp-MRT. So wurde per Expertenkonsens eine MRT-Progression als persistierende Prostate Imaging-Reporting and Data System (PI-RADS) 4/5 Läsion (auch wenn sie zuvor als 4/5 gemeldet wurde) oder neue PI-RADS 3-Läsionen (angestiegen, ausgehend vom vorherigen PI-RADS 1-2) für die hier berichtete Studie von Doan et al. festgelegt. Läsionen, die initial als PI-RADS 3 angegeben wurden, aber eine intervallmäßige Abnahme des T2-Signals zeigten sowie offensichtliche Diffusionskoeffizienten oder eine deutliche Zunahme an Perfusionscharakteristika in der seriellen mp-MRT galten ebenfalls als suspekt und hatten eine vorzeitige Biopsie zur Folge. Eine pathologische Progression wurde definiert als Gleason-Score ≥3+4=7 mit >10 % Gleason-Muster 4 oder ≥2 Gewebeproben mit Gleason-Muster 4. Bei Patienten, die eine radikale Prostatektomie (RP) erhielten, wurde das Tumorvolumen (mittels 3D-Volumenschätzungsmethode) berechnet. Die Definition für eine ungünstige Pathologie war ein PCa mit Tumorstadium pT3 oder ISUPGG >2 mit einem Tumorvolumen >0,2 cc.


Endpunkte


Primäre Endpunkte umfassten die Entwicklung eines csPCa nach 3 Jahren und die Rate der Progressionen, die eine radikale Therapie notwendig machen. 

 

Ergebnisse

Von den 172 aufgenommenen Patienten wurden vor der finalen Analyse 5 ausgeschlossen, da sie die Einschlusskriterien nicht erfüllten oder ihre informierte Zustimmung zurückzogen. Die mediane Zeit bis zur End-of-Protocol-Biopsie betrug 36 Monate (Q1-Q3 29-39). Die mediane Gesamtnachbeobachtungszeit für die komplette Kohorte lag bei 69 Monaten, unabhängig von der Progression zum csPCa (Q1-Q3 56-79).


Bis zum Ende des Protokolls nach 3 Jahren entwickelten 24 % (n = 35/148) Patienten eine pathologische Progression. Mit der Ausnahme eines Patienten wurde bei allen eine Therapie eingeleitet. 6 Patienten erhielten auf eigenen Wunsch eine Behandlung, (da sie formell die Kriterien für eine pathologische Progression nicht erfüllten).


Diagnostische Genauigkeit


40 Patienten wurden im Laufe des 3-jährigen Protokolls biopsiert, da die serielle mp-MRT eine Progression zeigte. Davon wies jeder zweite (50 %; 20/40) ein csPCa auf, bestätigt mit einer vorzeitigen Biopsie. Zum Vergleich: Bei Patienten ohne Befund in der seriellen mp-MRI erhielten 14% (15/108) am Ende des Protokolls die Diagnose eines csPCa.


Die Sensitivität der seriellen mp-MRT zur Detektion von csPCa lag bei 57 % (95 % KI 39 %-74 %); die Spezifität bei 82 % (95 % KI 74 %-89 %); der positive prädiktive Wert bei 50% (95% KI 38%-62%) und der negative prädiktive Wert bei 86% (95% KI 81%-90%).


Würde die Biopsie ausschließlich auf dem Ergebnis der seriellen mp-MRT basieren, könnten 73 % (108/148) der Biopsien vermieden werden, bei gleichzeitig verzögerter Diagnose eines csPCa in 10 % (15/148) der Fälle.


Von den Patienten mit im mp-MRT nicht zu erkennender pathologischer Progression, wiesen die meisten (73 %; 11/15) ein PCa im Stadium pT2 mit ISUPGG 2 oder ein niedrig-volumiges PCa mit ISUPGG 3-5 auf. In der Gesamtkohorte hatten lediglich 2,3 % (4/172) mit falsch-negativer mp-MRT mindestens ein pathologisches Merkmal mit hohem Risiko (pT3 oder ISUP >2 mit hoch-volumigem PCa >0,2 cc).


In einer retrospektiven Analyse der 15 Patienten mit csPCa und negativen mp-MRTs wurde bei nur einem einzigen eine PSAD von >0,2 ng/ml/cc festgestellt. Im Rahmen der Studie erhielt kein Patient eine Biopsie allein deshalb, weil sich der PSA-Wert verändert hatte. 59 % (10/17) der Patienten mit einer PSAD >0,2 ng/ml/cc entwickelten ein csPCa – bei Patienten mit einer niedrigen PSAD war dies bei 29 % (24/128) der Fall. Positiver prädiktiver und negativer prädiktiver Wert von PSAD >0,2 ng/ml/cc für csPCa lagen entsprechend bei 59% (95% KI 37% -78 %; 10/17) und 81 % (95 % KI 78 % - 84 %; 104/128).


Wie gut erkennen Ausgangs- und serielle mp-MRT ein csPCa?


Während des 3-jährigen Protokolls wurde bei Patienten mit persistierenden PI-RADS 4-5 Läsionen zu Studienbeginn und in der seriellen mp-MRT eine Progressionsrate von 64 % (7/11) beobachtet gegenüber 14 % (14/102) bei denjenigen mit anhaltend negativen mp-MRT-Befunden. Abbildung 2 zeigt die Detektionsrate von csPCa durch mp-MRT zu Studienbeginn und während des Monitorings mittels der seriellen mp-MRT.

 

Abb. 2: Detektionsrate von csPCa durch mp-MRT zu Studienbeginn und während des Monitorings mittels der seriellen mp-MRT

 

Während des anschließenden Follow-up waren 64 % (7/11) mit einem persistierenden positiven mp-MRT-Befund bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 58 Monaten progredient und erhielten eine radikale Therapie, verglichen mit 24 % (24/102) der Patienten mit anhaltend negativem mp-MRT-Befund, bei einem medianen Follow-up von 65 Monaten.


RP-Ergebnisse

 

Zum Zeitpunkt der endgültigen Analyse hatten insgesamt 38 Patienten eine RP erhalten. Von diesen Patienten wurden 28 während oder am Ende des Studienprotokolls operiert, bei 3 Patienten erfolgte die RP auf eigenen Wunsch. csPCa in Biopsie und RP stimmten zu 79 % überein. Bei der histologischen Untersuchung des Prostatektomie-Präparats wurde in 7 % der Fälle der ISUPGG höher und in 14 % niedriger eingestuft, im Vergleich zur Biopsie.


Mittelfristige onkologische Ergebnisse

 

Nachdem alle Patienten im Median 69 Monate (Q1-Q3 56-79) unabhängig vom csPCa-Status nachbeobachtet worden waren, kam es bei einem Patienten zu einer Progression mit nodaler Mikrometastasierung (1/16 Knoten betroffen, mit einer Knotenlast von 3 mm, ohne extranodale Ausdehnung), entdeckt bei einer robotergestützten RP mit Lymphknotendissektion; die mp-MRT-Befunde des Patienten waren während des gesamten 3-jährigen Studienprotokolls unauffällig. Seine Therapie umfasste eine adjuvante Androgendeprivationstherapie/Strahlentherapie, er ist derzeit, 25 Monate nach Strahlentherapie, frei von einem biochemischen Rezidiv (PSA-Wert <0,1 ng/ml). Insgesamt zeigten 54 Patienten in den fast 6 Jahren Nachbeobachtung einen Progress, der eine radikale Therapie erforderlich machte (fokale Therapie n=4; niedrig-dosierte Brachytherapie n=8; RP n=42). In der Kohorte waren bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 69 Monaten ab dem Datum des letzten Kontakts und der PSA-Bestimmung 99 % der Patienten ohne biochemisches Rezidiv. Das metastasenfreie und das PCa-spezifische Überleben lagen jeweils bei 100 %. Die Gesamtmortalität betrug 0,6 % (1/158 Patient war an einem Pankreaskarzinom verstorben).


Multivariable Analyse für Progressions-Prädiktoren


In der multivariablen binären logistischen Regression erwiesen sich positive mp-MRT-Befunde und PSAD als signifikante Prädiktoren für eine Progression während der Nachbeobachtung (mp-MRT: Odds Ratio [OR] 5,28, 95% KI 2,19-12,70; p <0,001; PSAD: OD 3,99, 95% KI 1,26-12,68; p=0,019).

 


Fazit für die Praxis

  • Paul Doan et al. schließen auf Basis ihrer Studienergebnisse:
  • Durch eine initiale mpMRT-gesteuerte und Template-basierte Biopsie kann mit minimalem Risiko auf eine Wiederholungsbiopsie zugunsten einer jährlichen mp-MRT verzichtet werden.
  • Wie die Autoren abschließend nahelegen, sollte nach 3 Jahren eine Überwachungsbiopsie durchgeführt werden – und zwar unabhängig von mp-MRT- und PSA-Befunden, aufgrund von gelegentlichen im MRT nicht sichtbaren Läsionen.

 

Doan P, Scheltema MJ, Amin A, Shnier R, Geboers B, Gondoputro W, Moses D, van Leeuwen PJ, Haynes AM, Matthews J, Brenner P, O'Neill G, Yuen C, Delprado W, Stricker P, Thompson J. Final Analysis of the Magnetic Resonance Imaging in Active Surveillance Trial. J Urol. 2022 Nov;208(5):1028-1036. doi: 10.1097/JU.0000000000002885. Epub 2022 Aug 10. PMID: 35947521.