DRU – eine sinnvolle Screening-Strategie?
Die jährliche digitale rektale Untersuchung (DRU) wird in Deutschland als eigenständiger Prostatakrebs (PCa)-Screeningtest für Männer ab 45 Jahren empfohlen.[1] Doch wie gut die DRU darin ist, bei jungen Männern im Alter von 45 Jahren ein PCa zu entdecken, wurde bislang noch nicht im Rahmen einer Screening-Studie untersucht. Agne Krilaviciute und Nikolaus Becker et al. nahmen sich nun dieses Themas an. Die Analyse der Autoren wurde im Rahmen der deutschen, laufenden, multizentrischen, Populations-basierten, randomisierten PROBASE-Studie durchgeführt. Die PROBASE-Studie untersucht die Effektivität eines risikoangepassten Prostata-spezifischen Antigen (PSA)-Screenings bei 46.642 Patienten, die bei Studieneinschluss 45 Jahre alt waren: Abhängig vom Baseline PSA-Wert wurde der einen Hälfte ein sofortiges PSA-Screening (sofortiger Screening-Arm; n = 23.301) angeboten, der anderen Hälfte zunächst eine alleinige, einmalige DRU und 5 Jahre später, im Alter von 50 Jahren, ein verzögertes PSA-Screening (verzögerter Screening-Arm; n = 23.194). Die Autoren analysierten nun (1) die Effektivität einer alleinigen DRU im Alter von 45 Jahren bei 6.537 Patienten des verzögerten Screening-Arms und (2) bewerteten die Ergebnisse der DRU zum Zeitpunkt der Magnetresonanztomografie (MRT)-gesteuerten Prostata-Biopsie bei den Patienten mit einem PSA-Test ≥3 ng/ml (n=578).
Summary
(1) Unter den 6.537 der 23.194 Patienten des verzögerten PSA-Screening-Arms der PROBASE-Studie, die sich bei Studieneintritt im Alter von 45 Jahren einer alleinigen DRU unterzogen hatten, wurden 57 suspekte Befunde ermittelt. In einer prospektiven Analyse dieser 57 Patienten fanden sich lediglich 3 PCa-Fälle. Die anderen DRU-Befunde waren falsch-positiv. Alle drei durch die DRU ermittelten PCa-Fälle hatten einen niedrigen oder mittleren International Society of Urological Pathology (ISUP)-Grad und wiesen einen PSA-Wert <3 ng/ml auf. Die DRU erkannte 0,05 % (drei von 6.537) der PCa, gegenüber einer viermal höheren Rate durch das PSA-Screening (48 von 23.301; 0,21 %). Die wahr-positiv Rate der DRU versus PSA-Screening betrug 0,22 (95 % Konfidenzintervall [KI] 0,07-0,72), die falsch-positiv Rate der DRU lag bei 2,2 (95 % KI 1,50-3,17). (2) Von den im PSA-Screening entdeckten PCa-Fällen wiesen 86 % einen unverdächtigen DRU-Befund auf (die Sensitivität gegenüber dem PSA-Wert betrug 14 %), wobei sich die Mehrzahl dieser Karzinome (86 %) in den potenziell zugänglichen Bereichen der Prostata befand.
Key Finding

Agne Krilaviciute und Nikolaus Becker et al. zeigten in der vorliegenden Analyse:
- Die alleinige DRU ist zu wenig sensitiv und zeigt eine zu hohe falsch-positiv-Rate.
 - Eine DRU verbesserte nicht die PCa-Detektionsrate bei jungen Männern mit erhöhtem PSA-Wert.
 
Details
Rationale
In Deutschland wird seit 1971 die jährliche digitale rektale Untersuchung (DRU) als alleiniger und eigenständiger Prostatakrebs (PCa)-Screeningtest für Männer ab 45 Jahren empfohlen.[1] Allerdings gilt die diagnostische Zuverlässigkeit der DRU zum Nachweis eines PCa generell als schlecht [2] – zudem gibt es nur wenige Daten darüber, wie gut die DRU ein PCa bei jungen Männern entdeckt.
Weitere Informationen zur PROBASE Studie 
2022 veröffentlichten Arsov C, Albers P, Herkommer K et al.[3] die ersten Ergebnisse der deutschen laufenden PROBASE-Studie – eine Populations-basierte, randomisierte Screening-Studie, die die Effektivität eines risikoadaptierten PSA-Screenings bei jüngeren Patienten untersucht. Von Februar 2014 bis Dezember 2019 wurden insgesamt 46.642 45-jährige Patienten rekrutiert. Die eine Hälfte erhielt ein sofortiges PSA-Screening (sofortiger Screening-Arm, n = 23.301), die andere Hälfte zunächst eine einmalige alleinige DRU und 5 Jahre später, im Alter von 50 Jahren, ein verzögertes PSA-Screening (verzögerter Screening-Arm, n = 23.194).
- Die Patienten wurden gemäß ihres PSA-Baseline-Wertes im Alter von 45 oder 50 Jahren in Risikokategorien (niedrig: <1,5 ng/ml; intermediär: 1,5-2,99 ng/ml oder hoch: ≥3 ng/ml) eingeteilt, die verschiedenen empfohlenen nachfolgenden Screening-Intervallen entsprechen.
 - Ergab die DRU im Alter von 45 Jahren einen suspekten Befund, folgte ein PSA-Test und unabhängig vom Ergebnis wurde eine Biopsie empfohlen.
 - Die Ermittlung der PCa-Detektion mittels DRU zum Zeitpunkt der Biopsie wurde nach diesem Schema durchgeführt: Lag der Screening-PSA-Wert bei ≥3 ng/ml, erhielt der Patient eine DRU vor Durchführung der Biopsie. Darüber hinaus wurde eine multiparametrische Magnetresonanztomographie (mpMRI)-gesteuerte Prostata-Biopsie und eine systematische Biopsie (12 Proben) empfohlen. Zudem wurde allen Patienten mit einem PSA-Wert von ≥3 ng/ml eine von den mpMRT-Ergebnissen unabhängige Biopsie nahegelegt.
 
Die 2022 publizierten Ergebnisse der ersten Screening-Runde ergaben eine niedrige PCa-Prävalenz (0,2 %) bei 45-jährigen Patienten, bei einer Risikostratifizierung anhand des PSA-Wertes, mit nur 0,02 % aggressiven Karzinomen. Im Vergleich dazu zeigte die DRU eine geringe Effektivität bei der PCa-Früherkennung.[3]
Agne Krilaviciute und Nicolaus Becker et al. stellten jetzt aktuelle Auswertungen der PROBASE-Studie vor, die hier berichtet werden. Konkret untersuchte die Arbeitsgruppe, was die DRU als Test zur PCa-Früherkennung oder -Diagnose bei jungen Patienten im Rahmen eines allgemeinen Populations-basierten Screenings leistet.
Ergebnisse
Die DRU als Screening-Test bei den 45-Jährigen
Von den 23.194 PROBASE-Studienpatienten in der Gruppe mit verzögertem Screening unterzogen sich insgesamt 6.537 Patienten einer DRU. Von diesen gab ein geringerer Prozentsatz (etwa 14 %) an, vor Studieneinschluss einen PSA-Test gemacht zu haben, gegenüber der Gruppe mit sofortigem PSA-Screening – hier waren dies in etwa 16 % (c2 p<0,001). Zwischen den Quoten der Patienten mit DRU, die über eine PCa-Familienanamnese berichteten (16 %) oder die sich vor Studienbeginn einer DRU unterzogen hatten (33 %) und den entsprechen Quoten der Patienten mit sofortigem PSA-Screening gab es keine signifikanten Unterschiede. Zwischen DRU-Teilnehmern und nicht-DRU-Teilnehmern wurden signifikante Unterschiede bei den Prozentsätzen hinsichtlich der DRU- (33 % vs. 36 %) und PSA-Anamnese (14 % vs. 18 %) beobachtet (c2 <0,001 für beide Variablen).
Tabelle 1 zeigt die Follow-up Ergebnisse der Patienten mit alleiniger DRU im Alter von 45 Jahren in Bezug auf den PCa-Status.
Hier geht es zum Download von Tabelle 1
Bei den 57 Patienten mit suspekter DRU (0,87 % der getesteten Patienten) hatten 36 eine Biopsie vor dem Alter von 50 Jahren erhalten (63 %) – davon waren drei Biopsien positiv: Die durch DRU entdeckten PCa-Fälle wiesen alle einen PSA-Wert <3 ng/ml zum Zeitpunkt der diagnostischen Untersuchung auf und zeigten alle einen niedrigen oder mittleren ISUP-Grad (ISUP GG 1: 2 und ISUP GG 2: 1). Von den Patienten mit suspekter DRU, die sich keiner empfohlenen Biopsie unterzogen, erhielten 11 ihr erstes planmäßiges PSA-Screening im Alter von 50 Jahren: Dieses ergab entweder einen niedrigen PSA-Wert (<3 ng/ml, n = 10) oder eine negative Biopsie nach erhöhtem Screening-PSA (n = 1). Somit wurden bei 77 % (44/57) der Patienten mit suspektem DRU-Befund keine Hinweise auf ein PCa gefunden. Unter den 6.480 Patienten mit unauffälliger DRU im Alter von 45 Jahren erkrankten bislang 24 an einem PCa – das PCa wurde entweder beim ersten planmäßigen PSA-Screening im Alter von 50 Jahren (n = 21 PCa-Fälle unter n = 87 Patienten mit erhöhtem PSA-Wert) entdeckt oder außerhalb des PROBASE-Studienprotokolls (n = 3) im Intervall zwischen DRU und dem geplanten PSA-Screening im Alter von 50 Jahren.
Die PCa-Detektions-Rate (alle ISUP-Grad) via DRU lag bei 0,05 % (drei PCa-Fälle von 6.537 DRU-Teilnehmern; 95 % KI 0,01-0,13) im Vergleich zu 0,21 % (48 PCa-Fälle von 23.301 PSA-Screening-Patienten; 95 % KI 0,15-0,27) der durch den PSA-Test identifizierten Fälle in der Sofort-Screening-Gruppe – dies entspricht einer etwa vierfach niedrigeren wahr-positiven PCa-Nachweisrate mittels DRU versus PSA-Screening (0,22; 95 % KI 0,07-0,72). Es fiel auf, dass die falsch-positive Detektions-Rate der DRU rund doppelt so hoch war (2,18; 95 % KI 1,50-3,17), wie die des PSA-Tests. Der absolute positive prädiktive Wert für die DRU als Screening-Test erwies sich als sehr niedrig (5,2 %; 95 % KI 1,10-14,6) und sogar noch niedriger, wenn ausschließlich PCa mit ISUP GG ≥2 berücksichtigt wurden (eines von 57; 1,8 %, 95 % KI 0,04-9,4).
PCa-Detektion mittels DRU zum Zeitpunkt der Biopsie, wenn der PSA-Screening-Test positiv ausfiel (3≥ ng/ml)
Im Rahmen des risikostratifizierten PROBASE-Screening-Protokolls war zum Zeitpunkt der vorliegenden Analyse bei insgesamt 978 Patienten der PSA-Screening Test positiv – davon erhielten bislang 578 eine Biopsie. Wie die PROBASE-Arbeitsgruppe bereits in einer früheren Publikation zeigte, wurden Biopsien eher bei Patienten mit höheren mpMRI- Prostate Imaging Reporting and Data System (PI-RADS)-Scores oder mit höheren PSA-Screening-Werten durchgeführt.[4]. Bei den Patienten mit Biopsien waren DRU-Befunde bei 81 % (n = 469) verfügbar, mpMRI-Befunde bei 88 % (n = 511) und Informationen aus beiden Tests bei 79 % (n = 456).
Die DRU war bei 14 % der positiven Biopsien und 3,8 % der negativen Biopsien suspekt (relative Sensitivität). Das am häufigsten beobachtete klinische Tumorstadium (cT) bei DRU war cT2a in 78 % der positiven und 91 % der negativen Biopsien.
Tabelle 2 zeigt die DRU-Ergebnisse, aufgeteilt nach ISUP GG und Lokalisation der suspekten Befunde im mpMRT. Die DRU ergab einen verdächtigen Befund bei 11-12 % der ISUP GG 1-2-PCa und 38 % der ISUP GG 4-5 PCa. Bemerkenswert ist, dass die Mehrheit der PCa in der PROBASE-Studie bislang einen ISUP GG 1-2 aufwies (181 von 230). Laut Lokalisation der im MRT sichtbaren Läsionen befanden sich mindestens 34 Tumore (15 %) in den vorderen Teilen der Prostata – eine Stelle, wo sie mit der alleinigen DRU nicht entdeckt werden konnten
Hier geht es zum Download von Tabelle 2
Diskussion
- Insgesamt könnte sich laut Krilaviciute und Becker et al. die DRU als Screening-Test in mindestens zwei Bereichen als problematisch erweisen: Angesichts der geringen Sensitivität könnten sich die Patienten bei einem negativen Befund in falscher Sicherheit wiegen. Gleichzeitig könnte mit Blick auf die hohe Falsch-Positiv-Rate positive Befunde Sorgen und Ängste bei den Patienten hervorrufen und mit vermeidbaren Kosten für weitere diagnostische Maßnahmen verbunden sein, die den PCa-Verdacht letztlich wieder entkräften.
 - Angesichts der geringen Akzeptanz der DRU[5] könnte die Streichung dieser Untersuchung aus den Screening-Algorithmen möglicherweise die Compliance der Männer verbessern, so die Studienautoren.
 - Der PSA-Test hat sich in großen randomisierten Studien als eindeutig überlegener Screeningtest erwiesen. Nun müsste gemäß den Autoren, sein effektiver Einsatz untersucht und seine flächendeckende Einführung nachdrücklich vorbereitet werden.
 - MRT als Test bei Patienten mit einem PSA-Wert >3 ng/ml liefert genauere Informationen über das Prostatavolumen und die Berechnung der PSA-Dichte.
 
Fazit für die Praxis

Krilaviciute und Becker et al. schließen:
- Die diagnostische Aussagekraft einer alleinigen DRU in Bezug auf das PCa-Screening ist dürftig.
 - Daher sollte die DRU nicht als PCa-Screening-Instrument bei Männern im Alter von 45 Jahren empfohlen werden.
 - Zudem verbesserte die DRU nicht die Detektion eines PCa, das mittels PSA-Screening diagnostiziert wurde.
 
Krilaviciute A, Becker N, Lakes J, Radtke JP, Kuczyk M, Peters I, Harke NN, Debus J, Koerber SA, Herkommer K, Gschwend JE, Meissner VH, Benner A, Seibold P, Kristiansen G, Hadaschik B, Arsov C, Schimmöller L, Giesel FL, Antoch G, Makowski M, Wacker F, Schlemmer HP, Kaaks R, Albers P. Digital Rectal Examination Is Not a Useful Screening Test for Prostate Cancer. Eur Urol Oncol. 2023 Dec;6(6):566-573. doi: 10.1016/j.euo.2023.09.008. Epub 2023 Oct 6. PMID: 37806841.
Literatur:
- Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krebserkrankungen (Krebsfrüherkennungs-Richtlinien) vom 28. April 1971. Deutsches Ärzteblatt 1971;25:1914–6.
 - Naji L, Randhawa H, Sohani Z, et al. Digital rectal examination for prostate cancer screening in primary care: a systematic review and meta-analysis. Ann Fam Med 2018;16:149–54.
 - Arsov C, Albers P, Herkommer K, et al. A randomized trial of riskadapted screening for prostate cancer in young men—results of the first screening round of the PROBASE trial. Int J Cancer 2022;150:1861–9.
 - Krilaviciute A, Albers P, Lakes J, et al. Adherence to a risk-adapted screening strategy for prostate cancer: first results of the PROBASE trial. Int J Cancer 2023;152:854–64.
 - Ciatto S, Bonardi R, Mazzotta A, et al. Comparing two modalities of screening for prostate cancer: digital rectal examination + transrectal ultrasonography vs. prostate-specific antigen. Tumori 1995;81:225–9.
 - Starker A, Saß A-C. Participation in cancer screening programmes. Results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1) [Ger. Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen]. Bundesgesundheitsblatt 2013;56:858–67.