Active Surveillance vs. initiale Therapie – Langzeitüberleben im Fokus

Active Surveillance (AS) ist bei Patienten mit Low-Risk-Prostatakarzinom (PCa) eine häufig eingesetzte Strategie – doch fehlen bislang Populations-basierte Langzeitdaten. N. Timilshina et al. analysierten nun – in einer retrospektiven Populations-basierten Beobachtungs-Studie (n= 21.282) Patienten mit Low-Risk-PCa, die zwischen 2002 und 2014 aktiv überwacht oder mit initialer kurativer Therapie behandelt wurden. Primärer Endpunkt der Studie war ein Vergleich der Langzeitergebnisse des Metastasen-freien Überlebens (MFS), des Gesamtüberlebens (OS) und des PCa-spezifischen Überlebens (CSS) von AS und initialer Therapie nach 10 und 15 Jahren.

Summary

Die Kohorte der retrospektiven Populations-basierten Beobachtungs-Studie umfasste 21.282 Patienten mit Low-Risk-PCa und einer medianen Nachbeobachtungszeit von 9,8 Jahren. Nach 10 Jahren Follow-up lag die Überlebensrate der weiter aktiv beobachteten Patienten bei 39 %; das MFS betrug 94,2 %, das OS 88,7 % und das CSS 98,1 % (siehe Tabellen 2,4,6).

  
In bereinigten Modellen war AS mit einem höheren Metastasierungsrisiko (Hazard Ratio [HR] 1,34, 95 % KI 1,15-1,57), einer höheren Gesamt- (HR 1,12, 95 % KI 1,01-1,24) sowie einer höheren PCa-spezifischen Mortalität (HR 1,66, 95 % KI 1,15-2,39) assoziiert gegenüber der initialen Therapie. Eine Überlebenszeitanalyse mit Prospensity-Matched-Paaren (7.525 in jeder Gruppe) stimmte mit den Ergebnissen der primären Landmark-Analyse überein für MFS, OS und CSS (Tabelle 1).

Variablen

Primäre Landmark-Analyse

p Wert

Prospensity Score Matched Analyse

p Wert

HR (95 %)

HR (95 %)

AS vs. initiale Therapie

Ergebnis 1: Metastasierung

1,34 (1,15-1,57)

1,28 (1,08-1,51)

AS vs. initiale Therapie

Ergebnis 2: Gesamtmortalität

1,12 (1,01-1,24)

0,038

1,12 (1,01-1,25)

0,036

AS vs. initiale Therapie

Ergebnis 3: PCa-spezifische Mortalität

1,66 (1,15-2,39)

0,007

1,87 (1,24-2,82)

0,003

Tabelle 1: Cox-Regression der Metastasierung, Gesamtsterblichkeit und PCa-spezifische Mortalität (Landmark-Analyse und Propensity Score Matched Analyse)

Key Finding

Man with bulb

N. Timilshina et al. berichten in ihrer retrospektiven Studie:  

  • Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass AS nach einem medianen Follow-up von 10 Jahren mit einem leicht kürzeren Langzeit-MSF, -OS und -CSS im Vergleich zur initialen kurativen Therapie einhergeht bei Patienten mit Low-Risk-PCa

Details

Rationale

Bislang gibt es wenig Evidenz, dass eine der Therapieoptionen (AS, Operation und Strahlentherapie) für ein Low-Risk-PCa der anderen überlegen ist. Auch wenn Publikationen monozentrischer Studien zu AS-Langzeitergebnissen vielversprechend sind und eine PCa-spezifische Überlebensrate von 99 % bis 100 % nach 10 Jahren aufweisen.[1,2] fehlen bislang aussagekräftige Populations-basierte (Langzeit)-Daten. Denn in der Regel wurden in den bislang publizierten Studien einzelner Zentren sorgfältig ausgewählte Patienten mit einem PCa eingeschlossen, das ein sehr niedriges Risiko aufweist. Zudem war die Nachsorge Protokoll-basiert und das mediane Follow-up lag bei etwa 5 Jahren. Viele Studien unterschieden auch nicht zwischen AS und Watchful Waiting (WW) – zwei verschiedene Ansätze, die in unterschiedlichen onkologischen Ergebnissen resultieren. Hinzu kommt, dass die Wahl des Therapieansatzes (AS oder initiale aktive Therapie) durch komplexe Patienten- und Anbieterfaktoren bestimmt wird, die sich auf die Ergebnisse auswirken[3] – Aspekte, die bislang keine der Studien zu onkologischen Langzeitergebnissen berücksichtigte.

N. Timilshina et al. untersuchten nun in einer retrospektiven Populations-basierten Beobachtungs-Studie die onkologischen Langzeitergebnisse von AS und initialer kurativer Therapie bei Low-Risk-PCa im Rahmen einer Landmark-Analyse. Wie die Studienautoren betonen, wurde klar zwischen AS und WW unterschieden.  

Methodik

Die hier berichtete retrospektive, Populations-basierte Beobachtungs-Studie nutzte verknüpfte administrative Datenbanken aus Ontario, Kanada. Eingeschlossen wurden Patienten, die zwischen 2002 und 2014 an einem de novo PCa (Codes: ICD-9 185, ICD-10 C61, Histologie 8140) erkrankten, das mittels transrektaler Ultraschallbiopsie innerhalb von 30 Tagen nach Diagnose als niedrig-gradig (Gradgruppe 1) eingestuft wurde. 

  • AS-Gruppe (initiale Strategie):
    Patienten, die innerhalb von 6 Monaten nach Diagnose keine aktive Behandlung (wie Operation, Strahlentherapie oder Brachytherapie) erhielten und bei denen innerhalb von 2 Jahren nach Diagnose eine Bestätigungsbiopsie durchgeführt wurde.   
  • Initiale Therapie-Gruppe:
    Patienten, die innerhalb von 6 Monaten nach Diagnose initial aktiv behandelt wurden. 

Den primären Endpunkt bildete das 5-, 10- und 15-jährige MFS, OS und CSS. Die Studienautoren führte eine primäre Landmark-Analyse nach 24 Monaten durch, um einen Time-Bias zu vermeiden. Für die Landmark-Analyse begann die Nachbeobachtungszeit 2 Jahre nach der Diagnose; deshalb entsprechen die 5-, 10- und 15-Jahres-Zeitpunkte ungefähr 7, 12 und 17 Jahre nach der Diagnose.

Sekundärer Endpunkt war der Wechsel zur aktiven Therapie und Behandlungsart im Anschluss an die initiale AS. Das Datum des AS-Abbruchs wurde als das Datum der Aufnahme einer aktiven Therapie nach initialer AS definiert.

Ergebnisse

Von den 21.282 Patienten mit Low-Risk-PCa in der Landmark-Kohorte wurden 9.311 initial aktiv beobachtet, 11.971 erhielten eine initiale Therapie. Die pathologischen Ausgangs-Charakteristika (PSA-Wert, positive Biopsie-Proben und maximaler % Tumor pro Stanze) waren in der AS-Kohorte signifikant günstiger als in der Gruppe mit initialer Therapie (alle p-Werte <0,05). Die beiden Kohorten unterschieden sich auch beim medianen Alter in Jahren: AS-Gruppe: 64 (Interquartilsabstand, IQR: 59-69); initiale Therapie-Gruppe: 62 (57-67); p<0,001. 

Metastasierung (Landmark-Analyse)

Das MFS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse (Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose) zeigt Tabelle 2.

Kumulative Inzidenz

5 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

10 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

15 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

Primärer Endpunkt 1: MFS#

AS

98,1 %
(97,7 %-98,3 %)

94,2 %
(93,5 %-94,9 %)

88,9 %
(85,3 %-91,7 %)

Initiale Therapie

98,2 %
(97,9 %-98,3 %)

95,8 %
(95,4 %-96,3 %)

92,6 %
(91,6 %-93,5 %)

p-Wert
(Log-Rank-Test)

0,2

** Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose. # Überlebenszeit und Ereignisse wurden am 31.12.2017 zensiert.

Tabelle 2: Das MFS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse. 

In bereinigten Cox-Modellen hatten die AS-Patienten ein signifikant höheres Risko, Metastasen zu entwickeln, verglichen mit denjenigen, die initial behandelt wurden (HR 1,34; 95 % KI 1,15-1,57; p<0,001). Als weitere Prädiktoren für die Metastasierung erweisen sich: höheres Alter, höhere Komorbidität, niedrigeres Einkommensquintil und die Therapie durch einen Arzt, der kein Urologe war. Tabelle 3 zeigt das Cox Modell für die Zeit bis zur Entwicklung von Metastasen, bezogen auf ausgewählte Variablen.

Gesamtmortalität (Landmark-Analyse)

Das OS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse (Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose) zeigt Tabelle 4

Kumulative Inzidenz

5 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

10 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

15 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

Primärer Endpunkt 1: OS#

AS

95,7 %
(95,2 %-96,1 %)

88,7 %
(86,7 %-88,7 %)

83,2 %
(81,3 %-84,9 %)

Initiale Therapie

95,9 %
(95,5 %-96,3 %)

89,9 %
(89,3 %-90,6 %)

85,8 %
(84,8 %-86,7 %)

p-Wert
(Log-Rank-Test)

0,9

0,073

0,004

** Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose. # Überlebenszeit und Ereignisse wurden am 31.12.2017 zensiert.

Tabelle 4: Das OS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse.

In bereinigten Cox-Modellen hatten die AS-Patienten ein signifikant höheres Risiko zu versterben (an jeder Ursache) gegenüber den Patienten, die eine initiale Therapie erhielten (HR 1,12; 95 % KI 1,01-1,24; p = 0,038). Prädiktoren für die Gesamtmortalität waren: zunehmendes Alter, höhere Komorbidität, höherer PSA-Wert, mehr positive Biopsie-Gewebeproben und maximaler Prozentsatz der Biopsie-Proben bei Diagnose, niedrigeres Einkommensquintil, nicht-akademisches Krankenhaus und ein Arzt, der keine Urologe war. Tabelle 5 zeigt das Cox Modell für die Gesamtmortalität, bezogen auf ausgewählte Variablen.

PCa-spezifische Mortalität
(Landmark-Analyse)

64 der aktiv überwachten Patienten verstarben an ihrem PCa während der medianen 10-jährigen Nachbeobachtungszeit – bei den Patienten mit initialer Therapie wurden 73 PCa-spezifische Todesfälle berichtet. 

Das CSS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse (Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose) zeigt Tabelle 6.

Kumulative Inzidenz

5 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

10 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

13 Jahre**
Schätzung
(95 % KI)

Primärer Endpunkt 1: CSS#

AS

99,4 %
(99,2 %-99,6 %)

98,1 %
(97,3 %-98,6 %)

98,1 %
(97,3 %-98,6 %)

Initiale Therapie

99,6 %
(99,5 %-99.7 %)

99,1 %
(98,8 %-99,3 %)

99,1 %
(98,8 %-99,3 %)

p-Wert
(Log-Rank-Test)

0,8

0,002

0,006

** Follow-up begann 2 Jahre nach Diagnose. # Die CSS wurde bis zum 31.12.2015 limitiert, da ursachenspezifischen Daten erforderlich sind. 

Tabelle 6: Das CSS nach 5, 10 und 15 Jahren der Landmark-Analyse.

In multivariablen Analysen wurden AS (HR 1,66; 95 % KI 1,15-2,39 versus initiale Therapie), höheres Alter, höherer maximaler Prozentsatz an Biopsie-Proben und niedrigeres Einkommensquintil als mit PCa-spezifischer Mortalität assoziierte Parameter identifiziert. Tabelle 7 zeigt das Cox Modell für die PCa-spezifische Mortalität, bezogen auf ausgewählte Variablen.

Abbruch der AS 

62,9 % der AS-Patienten brachen diese Strategie ab und begannen eine aktive Therapie während des medianen 10-Jährigen Follow-up. Im Median dauerte es 32,2 Monate, bis die AS-Patienten eine aktive Therapie begannen. Die therapiefreie Überlebensrate nach 5, 10 und 15 Jahren betrug 50,2 %, 38,7 % bzw. 33,7 %.

Sensitivitätsanalysen

Insgesamt ergaben die Analysen für die ideale Kohorte (Bestätigungs-Biopsie innerhalb 1 Jahres, PSA-Wert <10 ng/ml, positive Biopsie-Proben ≤3 und maximaler Prozentsatz der Proben <50 % bei Diagnose) und die vollständige Kohorte (alle Fälle) multivariable bereinigte HRs für AS gegenüber initialer Therapie, die sich in puncto Richtung und Größenordnung nicht deutlich von der Landmark-Analyse unterschieden. Die Schätzungen der 5-, 10- und 15- Jahresüberlebensraten entsprachen ebenfalls im Wesentlichen der Landmark-Analyse. In der idealen AS-Kohorte war nach 10 und 13 Jahren das CSS kürzer, die Schätzung der bereinigten HR für die PCa-spezifische Mortalität sank von 1,66 in der Landmark-Analyse auf 1,14; allerdings erwies sich das 95 % KI mit 0,45 - 2,89 als relativ breit. 

Wurde lediglich die AS-Kohorte in die Analyse einbezogen, zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen PCa-spezifischen Variablen (PSA-Wert, Anzahl positiver Biopsie-Proben oder maximaler Probenprozentsatz) und PCa-spezifischer Mortalität oder Metastasierung. 

Propensity Score (PS) Matching

Nach dem PS-Matching bestand die Studienpopulation aus 7.525 Patienten in jeder Kohorte. Das PS-Matching beseitigte die zuvor beobachteten großen Kohorten-Unterschiede. Die PS-Matching Analyse bestätigte die Ergebnisse der Hauptanalyse.

Diskussion

Geringfügige Unterschiede bei den Langzeitergebnissen könnten auf weniger restriktive Einschlusskriterien, eine weniger strenge Nachsorge oder die Auswirkungen der initialen Therapie zurückzuführen sein. Dank MRT und transperinealer Biopsie werden sich die AS-Ergebnisse wahrscheinlich ebenfalls verbessern und die Unterschiede zu aktiven Therapien verringern. 

Zu den Limitationen der Studie zählen die Studienautoren die fehlenden Daten zu einigen prognostischen Variablen – wie das Krankheitsstadium und PSA-Werte – die die Therapiewahl und das Ergebnis beeinflussen können.

Fazit für die Praxis

Man with bulb

N. Timilshina et al. schließen: 

  • In dieser Studie in Patienten mit Low-Risk-PCa war AS mit einem ausgezeichneten Langzeit-MFS und -OS assoziiert.  
  • Allerdings wurde ein leicht kürzeres CSS nach 10 und 15 Jahren im Vergleich zur initialen Therapie beobachtet. 
  • Das leicht kürzere CSS bei den AS-Patienten (1 % schlechter nach 10 Jahren mit AS) sollte gegen die bekannten Langzeitfolgen der aktiven Therapie abgewogen werden.  

Timilshina N, Alibhai SMH, Tomlinson G, Sander B, Cheung DC, Finelli A. Long-term Outcomes Following Active Surveillance of Low-grade Prostate Cancer: A Population-based Study Using a Landmark Approach. J Urol. 2023 Mar;209(3):540-548. doi: 10.1097/JU.0000000000003097. Epub 2022 Dec 7. PMID: 36475730.

Literatur: 

  1. Tosoian JJ, Mamawala M, Epstein JI, et al. Active surveillance of grade group 1 prostate cancer: long-term outcomes from a large prospective cohort. Eur Urol. 2020;77(6):675-682.
  2. Klotz L, Vesprini D, Sethukavalan P, et al. Longterm follow-up of a large active surveillance cohort of patients with prostate cancer. J Clin Oncol. 2015;33(3):272-277.
  3. Auffenberg GB, Lane BR, Linsell S, Cher ML, Miller DC. Practice- vs physician-level variation in use of active surveillance for men with low-risk prostate cancer: implications for collaborative quality improvement. JAMA Surg. 2017;152(10):978.