RöKo 2024 – Überlegungen für ein risikobasiertes Prostatakarzinom-Screening

Bisherige Daten legen nahe, dass ein Prostatakarzinom-Screening – je nach individuellem Risiko – die MRT mit einbeziehen sollte. Um eine geeignete Screening-Population zu definieren, sind allerdings weitere Risikofaktoren einzubeziehen.
Präsentationstag: | 09.05.2024 |
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Autor: | mh/ktg |
Sprecher: | Heinz-Peter Schlemmer, DKFZ Heidelberg |
Quelle: | RöKo 2024 |
Ein MRT-basiertes Prostatakarzinom-Screening kann dazu beitragen
… opportunistisches Screening zu vermeiden
… das Verhältnis von Nutzen und Risiko zu verbessern
… Überdiagnose und Übertherapie zu verringern
Wer über die Entwicklung eines risikobasierten Prostatakarzinom-Screenings nachdenkt, muss zunächst dessen Zielsetzung definieren, so Heinz-Peter Schlemmer, DKFZ Heidelberg:
- Welches Prostatakarzinom (PCA) soll diagnostiziert werden, welches darf verborgen bleiben?
- Welche PCA sind innerhalb des breiten Spektrums von Pathologien klinisch signifikant?
- Welche Konsequenzen ergeben sich aus einer Klassifikation als PI-RADS 3?
Für die Durchführung mit hoher diagnostischer Genauigkeit fehlen derzeit noch
- Standards für die MRT (Sequenzen, Auflösung, SNR, b-Werte)
- Standards für die Biopsie (Ultraschall, MR/TRUS Fusionsbiopsie, wie viele Stanzen, Erfahrung des Durchführenden)
- Standards für die Befundung (derzeit sind die Inter- und Intraobserver-Variabilität sowohl von Radiolog:innen als auch von Pathologe:innen noch sehr hoch).
Inzidenz – Lancet Commission on Prostate Cancer 2024
Laut Lancet Commission on Prostate Cancer 2024 ist das PCA in 112 von 195 Ländern weltweit das häufigste Karzinom bei Männern. Die Inzidenz dürfte sich bis 2040 verdoppeln, die Mortalität im selben Zeitraum um 87% ansteigen.
Gute Therapieoptionen
Das PCA lässt sich, wenn rechtzeitig entdeckt, sehr erfolgreich behandeln. Dies zeigten jüngst die ProtecT Studie an einer Population von 1.643 Männern mit lokalisiertem PCA und einem PSA-Wert <10ng/ml.
PSA und opportunistisches Screening
Das Fehlen eines populationsbasierten Screening-Programms führt – auch in Deutschland – zu paradox vielen PSA-Testungen auf Wunsch von Patienten bzw. Ärzten. Dabei sind Nutzen und Schaden dieser Tests unklar. Um den individuellen Benefit zu verbessern und Überdiagnose, Übertherapie und Schaden zu reduzieren, braucht es daher nationale, risikobasierte Screening-Programme.
Aktuelle Studien zur MRT als Screening-Verfahren
Cussenot 2023 – mp MRT bei genetischem Risiko
Eine neue Studie aus Frankreich zeigt an 322 Männern mit hohem genetischem PCa-Risiko, dass ein Screening bei dieser Population auf der multiparametrischen (mp) MRT basieren sollte – und nicht auf einem PSA-Wert von >3 ng/ml. Damit lasse sich vermeiden, dass zu viele Tumore mit ISUP-Grad >1 übersehen werden (International Society of Urological Pathology; als klinisch signifikant gelten Tumoren mit ISUP ≥2); auch die Zahl unnötiger Biopsien ließe sich deutlich reduzieren.
Cussenot et al. schlagen daher vor, für Männer mit hohem genetischem Risiko ab einem Alter von 40 Jahren eine Basisuntersuchung mittels mpMRT zu diskutieren.
Eklund 2021 – bp MRT halbiert Biopsierate
An einer Population von 1.532 Männern mit PSA >3 ng/ml verglich eine schwedische Studie randomisiert die Auswirkungen einer biparametrischen (bp) MRT mit anschließender targeted Biopsie mit einer ohne vorherige MRT durchgeführten Standard-Biopsie. Die MRT reduzierte die Biopsierate um nahezu die Hälfte. Die Anzahl klinisch nicht-signifikanter bzw. benigner PCA reduzierte sich ebenfalls.
Hugosson 2022 – MRT-Strategie plus targeted Biopsie
Eine weitere Studie aus Schweden vergleicht zwei potenzielle Screening-Strategien:
- Einladung zum PSA-Test für Männer im Alter von 50-60 Jahren einerseits bzw. Einladung zur mpMRT, wenn PSA >3 ng/ml
- Systematische Biopsie (12 ‚blinde’ Gewebeproben aus verschiedenen Teilen der Prostata) versus targeted Biopsie (gezielte Entnahme von vier Gewebeproben im auffälligen Bereich)
Ergebnis: Die MRT-Strategie mit targeted Biopsie halbiert das Risiko, nicht-signifikanten Prostatakrebs zu finden. Die Rate, mit der klinisch signifikante Prostatakarzinome übersehen werden, bleibt dennoch gering. „Die alleinige MRT würde demzufolge für ein Screening dieser Population ausreichen“, so Schlemmer.
Fazekas 2024 – Metaanalyse
Die Ergebnisse einer im April 2024 veröffentlichten Metaanalyse weisen darauf hin, dass die MRT in einem Prostatakrebs-Screening dazu beitragen würde, die Anzahl unnötiger Biopsien zu reduzieren, ohne die Erkennung klinisch signifikanter PCA im Vergleich zum reinen PSA-Screening zu beeinträchtigen. „Für diese Studie hätte ich mir nur zusätzlich noch den negativen Vorhersagewert NPV gewünscht“, so Schlemmer.
PROBASE Studie – PIRADS 3 / PIRADS 4
Über einen Zeitraum von 20 Jahren wird die 2014 begonnene PROBASE Studie laufen. Eine aktuelle Zwischenauswertung der Daten zeigt: Bei einer jungen Screening-Population ist die MRT der Prostata schwierig zu befunden. Die Genauigkeit der MRT bei der Erkennung von klinisch signifikantem PCA hängt in hohem Maße von der Erfahrung des Untersuchers ab. Daher könnte eine doppelte Befundung ratsam sein. Unterschiedliche PI-RADS-Klassen als Cut-off führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen:
- Ein Cut-off von PI-RADS 3 reduzierte die Anzahl der Biopsien um 20%, dabei wurden alle klinisch signifikanten PCA detektiert.
- Ein Cut-off von PI-RADS 4 reduzierte die Anzahl der Biopsien um 68%, dabei wurden jedoch 7 von 49 klinisch signifikanten PCA übersehen.
Screening-Voraussetzung: Bessere Modelle für Risiko-Prädiktion
PIRADS ist ein Ampelsystem – „das Problem damit ist, dass wir immer nur einen einzigen Wahrscheinlichkeitswert haben“, sagte Schlemmer. Weitere Risikofaktoren sollten hinzugezogen werden, um zu einer besseren Einstufung des individuellen PCA-Risikos zu gelangen und damit eine geeignete Screening-Population zu definieren. Diese zusätzlichen Parameter könnten sein:
- Alter
- PSA-Dichte = Gesamt-PSA (ng/ml) geteilt durch Prostatavolumen (ml)
- PSA-Anstiegsgeschwindigkeit („Velocity“)
- Familiäres Risiko
- Frühere negative Biopsie
Schlussbemerkungen
- KI-Algorithmen können heute bereits helfen, die Detektion von PCA zu verbessern. Für sich selbst stellte Schlemmer fest, dass KI ihm dabei hilft, tageszeitliche Aufmerksamkeitsdefizite zu kompensieren.
- Auch wenn es aktuell noch kein Prostata-Screening-Programm gibt, sollten Interessierte die Zertifikate der DRG bzw. des BDR erwerben, empfahl Schlemmer.